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Die eigenen vier Wände neu denken – immobile und mobile Anregungen

„Die Babyboomer wollen es auch im Alter anders machen als ihre Eltern. Sie sind beweglicher, haben Potential und Spaß am Experimentieren“, sagt Johanna Kliegel (Foto links). Wenn das auch auf Sie zutrifft, Sie sich von meterlangen Bücherwänden trennen könnten und nicht nur in Erinnerungen leben wollen, sondern offen sind, Ihre zukünftigen Jahre des Lebens neu zu gestalten – dann lohnt der Kontakt zu ihr oder ihrer Kollegin Lisa Kietzke (Foto Mitte).
Beide sind Beraterinnen der Wohnraumagentur der Stadt Göttingen und informieren über mögliche Wohnformen und wichtige Aspekte, sowohl persönlich als auch bei (Online-)Veranstaltungen. Sie sind bestens mit regionalen Akteuren vernetzt und können aus der Praxis von über 15 Initiativen berichten, die es in Göttingen samt Ortsteilen gibt. Wir haben ihre „immobilen“ Anregungen aufgegriffen und ergänzen diese mit der „mobilen“ Wohnvariante von Wohlwagenbauer Alexander Borghorst (Foto rechts).

Der Grundriss des eigenen Platzbedarfs

Die erste Frage, die man sich beantworten muss: Wie viel privaten Raum brauche ich wirklich? Stellen Sie alles auf den Prüfstand und überlegen, ob zum Beispiel ein nachbarlicher Gemeinschaftsgarten die Terrasse ersetzen könnte oder ob die große Wohnküche noch Sinn macht. Definieren Sie Ihren persönlichen „Das-brauche-ich-zum-Wohlfühlen“-Bereich und das, was Sie mit anderen teilen könnten.

Die Architektur des Zusammenlebens

Ist das eigene Haus zu groß geworden, hat einen Energieverbrauch „de-luxe“ und erfordert zu viel Aufwand, könnte durch einen Umbau, beispielsweise mit einer separaten Treppe oder einem zusätzlichen Badezimmer, neuer Wohnraum für befreundete oder bisher fremde Personen entstehen: Ältere leisten Gesellschaft, Jüngere packen im Haushalt mit an. Diese „flächeneffiziente“ Variante generiert Mieteinnahmen und spart Nebenkosten, so dass sich die Investition rechnen kann.
Oder man sucht sich mit Freunden eine komplett neue und barrierefreie Bleibe. Der Gestaltungsspielraum ist groß, daher nur zwei Beispiele: Entweder die „Wahlfamilie“ mietet in einem Mehrfamilienhaus separate Wohnungen und richtet sich einen Gemeinschaftsraum ein; oder man nutzt eine große Wohnung mit separaten Privatzimmern sowie gemeinsamer Küche und Aufenthaltsraum. So kann man sich auch die Kosten für eine Reinigungs- oder Pflegekraft teilen.
Vielleicht reicht auch ein Nachbarschaftszentrum für gesellige Treffen. „Solche Anlaufstellen gibt es in Göttingen beispielsweise am Leineberg und in Grone“, berichtet Johanna Kliegel und erzählt aus ihrer Beratungserfahrung: „Manche sind froh, wenn die trubeligen Kinder aus dem Haus sind und möchten nur wohldosierte Kontakte. Jeder Mensch ist frei in der Entscheidung, welche Nähe er*sie braucht und zulässt.“

Das finanzielle Fundament

Im besten Falle kann man den Verkaufspreis der eigenen Immobilie reinvestieren oder man löst zinslose Sparvermögen auf. Aber auch den vielen alleinstehenden Frauen, die kein finanzielles Polster haben, macht Lisa Kietzke Mut: „Hier ist das Interesse, aber auch die Hürde, sich an Gemeinschaftsprojekten zu beteiligen, sehr groß. Dennoch liegt im Gemeinsamen auch eine große Chance. Denn wenn alle zusammenlegen, ergibt sich oft eine solidarische Mischkalkulation.“

Das organisatorische Dach

Wer ist für was zuständig, wie werden Ansprüche und Wünsche berücksichtigt und wer leistet welchen Beitrag? Für die Regelung all solcher Fragen ist ein Regelwerk unabdingbar. Die Klammer können ein Verein, eine GbR, Genossenschaft oder Wohnungseigentümergemeinschaft sein. „Die Gruppe sollte sich schon richtig gut verstehen, da alle Arbeiten und Kosten, wie Planung, Bau, Instandhaltung und Renovierungen, eine gemeinsame Entscheidung erfordern“, betont Lisa Kietzke. Sie berät bei der Suche nach Lösungen, die gemeinsamen Wohn-Wünsche umzusetzen, denn sie weiß: „Um spätere Konflikte zu vermeiden, die teuer werden, lohnt sich eine bewusste und fundierte Entscheidung.“

Das Haus im Garten

Wer lieber nur ein paar Monate an einem Ort bleiben und dann weiterziehen will; oder wer nur eine „Home-Base“ für sein Unterwegssein sucht, für den sind die „Wohlwagen“ eine Alternative: individuell gebaut, geräumig (bis 96 qm), ökologisch, nachhaltig, platzsparend mit pfiffigen Einrichtungselementen und mit ausgeklügelter Technik für Energie und Wasser. Alexander Borghorst verzeichnet eine zunehmende Nachfrage, „vor allem von Menschen, die über ein neues Wohnen im Ruhestand nachdenken.“ Sie wohnen zuerst Probe, oder sie kaufen sich einen, testen die Wohnform im Urlaub, ziehen später komplett ein oder vermieten die begehrte Alternative zur Ferienwohnung. „Vorab muss man allerdings den Stellplatz klären“, betont Borghorst und schlägt vor: „Das kann ein gepachteter Bauplatz oder ein großer Garten bei der Familie sein. Wir geben Interessenten gerne eine Checkliste an die Hand und weiterführende Tipps.“

Türöffner

Weil alle Beteiligten sich abstimmen müssen, ist die Suche nach einem Bau- oder Stellplatz meist ein längerer Prozess, bei dem ein Kauf- oder Pachtvertrag schon mal ‚durch die Lappen geht‘. Daher empfiehlt sich der Kontakt zur Wohnraumagentur, die gut mit regionalen Bauträgern und der Interessensgemeinschaft Haus und Grund vernetzt ist. Und Alexander Borghorst rät, bei der Suche nach einem Stellplatz, eine Ansprechperson für Verhandlungen mit Grundbesitzern und Gemeinden festzulegen.

Umzugskisten

Hier schließt sich der Kreis: Haben Sie anfangs wirklich konsequent zu Ende gedacht, was Sie brauchen und von was Sie sich befreien können? E-Book-Reader statt Bücherwand, Laptop statt Rechner, Playlist aus der Sprachassistenz statt Musikanlage mit Boxen, oder den guten alten Kaffeefilter statt des monströsen Kaffeevollautomaten – konzentrieren Sie sich auf das Wichtigste, denn: Entrümpeln entlastet! Wenn Sie also Lust haben, packen Sie es an! Denn je früher Sie planen, desto größer ist Ihr Gestaltungsspielraum.

von Claudia Klaft

Fotos: © Wohraumagentur Göttingen, Adobe Stock, Alex Borghorst

Erschienen in: FÜNFZIG+ life – Ausgabe 03/2021

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